Personal: Auch in der Pension aktiv
Birgit Aichinger, Geschäftsführerin Ankerbrot und RespACT-Vorstandsmitglied erklärt im Interview, wie man eine ganz spezielle Gruppe wieder mit Spaß und Freude ins Arbeitsleben integriert.
retailreport.at: Anker ließ unlängst mit einer HR-Kampagne aufhorchen. Dabei ging es vor allem um das Recruiting von älteren Arbeitnehmern, Pensionistinnen und Pensionisten. Wie ist man auf diese Idee gekommen und wie wurde die „Kampagne“ angenommen?
Birgit Aichinger: Mehr als 20% der österreichischen Bevölkerung ist 65 Jahre alt oder älter, wir suchen laufend Personal, gleichzeitig braucht es auch Lösungen für die steigenden Kosten des Pensionssystems. Die Probleme sind uns allen sehr bewusst. Wir arbeiten auch schon einige Zeit mit der Vollpension zusammen und kennen daher ihre innovativen Ansätze im Sinne eines generationenübergreifenden Austausches sehr gut. Was die Vollpension anbietet, fanden wir immer schon sehr spannend. Dann haben wir Agnes bei uns „entdeckt“. Agnes ist schon fast zwei Jahre bei uns beschäftigt. Sie ist 66 Jahre alt, arbeitet einige Tage in der Woche von 05.30-07.30 in einer Anker-Filiale und bereitet dort in der Früh den ersten Durchgang der verschiedenen frisch gefüllten Weckerl zu. Wir haben mit ihr gesprochen, waren komplett begeistert von ihrer Lebensfreude, ihrem Schmäh, dass sie ganz genau weiß, was sie will, was ihr und dem Filial-Team guttut. Das war dann der Punkt, wo wir uns gesagt haben, es gibt vielleicht ein paar mehr Senior:innen wie Agnes da draußen oder auch Maria, die schon seit zehn Jahren bei der Vollpension im Einsatz ist. Dann ist einfach eines zum anderen gekommen und wir haben zusammen mit der Vollpension die Initiative „Erfahrene Semester“ ins Leben gerufen.
Inwiefern profitiert Anker von den neuen Arbeitnehmern und was muss man beachten?
Wir haben die Initiative ganz bewusst „Erfahrene Semester“ genannt, weil es genau darum geht - um Erfahrung: Berufserfahrung, Führungserfahrung, Erfahrung mit Konflikten und Herausforderungen, Erfahrung mit Veränderungen, Erfahrung im Umgang mit Menschen. Wir finden, dass dieser Erfahrungsschatz enorm wertvoll ist. Er kann ein Team unglaublich bereichern und umgekehrt kann die Integration in ein Team dem „Erfahrenen Semester“ auch viel geben. Voraussetzung dafür ist allseitige Offenheit für Neues – und ein flexibles Arbeits-Angebot.
Im Rahmen der ESG setzten sie mit dem Modell stark auf S – wie Sozial. Haben Sie Tipps für andere Unternehmen, wie man sich dieser Sache annähert?
Es ist richtig, genau genommen fällt die Initiative unter S, das für das Soziale steht. Damit klingt es auch ein wenig nach „Charity“ und das ist vielleicht auch der Grund, warum andere Unternehmen davor zurückschrecken. Nach dem Motto „dafür haben wir jetzt keine Ressourcen, das ist uns zu kompliziert, …“. Worum es hier geht, ist aber, dass wir mit der Initiative einen Mehrwert schaffen. Generationsübergreifende Teams vereinen Erfahrung und Modernität, fördern das gegenseitige Lernen und schaffen ein Arbeitsumfeld, in dem Respekt und Vielfalt gelebt werden – das stärkt nicht nur die Mitarbeitenden, sondern ist Teil davon ein Unternehmen zukunftsfit zu machen.
Ankerbrot ist ja auch im Handel tätig und deshalb die Frage: wäre das neue Arbeitsmodell auch etwas für den klassischen LEH und DFH?
Mit der Initiative „Erfahrene Semester“ wollen wir neue Kolleg:innen für uns interessieren, die ihre Erfahrung und ihr Engagement bei uns einbringen möchten. Wir wollen deutlich machen, dass wir altersunabhängig Menschen suchen, die Lust darauf haben, Teil der Ankerbrot-Teams zu sein. Wir wollen zeigen, dass wir ein attraktiver Arbeitgeber sind und wir uns freuen, wenn jemand gerne zu uns kommen möchte. Das ist eigentlich ganz einfach und ich denke, dass das sicherlich beispielgebend sein könnte – auch für LEH und DFH.
Was unterscheidet junge von älteren Arbeitnehmern?
Die Erfahrung! Was alle aber auch eint, ist der Wunsch nach Teilhabe, nach Wertschätzung und dem Gefühl, erwünscht zu sein und gebraucht zu werden.
Was würden Sie sich politisch in Bezug auf die Initiative wünschen?
Wir müssen arbeiten im Alter neu denken. Es muss sowohl für die Menschen als auch für die Unternehmen attraktiver gemacht werden. Bei der Teilpension wäre zum Beispiel eine Zusammenführung der steuerlichen Behandlung von Pension und Erwerbseinkommen notwendig. Ergänzend sollte es Möglichkeiten für ältere Menschen geben – etwa in Form von Schnuppertagen - ein bis zwei Tage unverbindlich in einem Betrieb mitzuarbeiten oder Einblick in eine Tätigkeit zu gewinnen. Dieses Modell sollte – ähnlich wie bei Schüler:innen-Schnuppertagen oder AMS-Arbeitserprobungen – mit klarer rechtlicher Absicherung, einfacher Dokumentation und ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen umgesetzt werden.
Unser Bundespräsident ist 81, der Kanzler 65, der Finanzminister 60 und der Trainer der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft ist 67 Jahre alt. An ihnen schätzt man ihre Erfahrung und alle arbeiten – wie man hört gut - mit jüngeren Team-Mitgliedern zusammen. Die Arbeit von „Erfahrenen Semestern“ – in verschiedenen Varianten - sollte generell breit und unbürokratisch ermöglicht und auch in den Unternehmen verankert sein. Es wäre für die Politik vermutlich hilfreich, dafür ein paar gute Beispiele in petto zu haben. Wir stehen dafür gerne zur Verfügung.